Die Auslassungen der hyperventilierenden Medien

Ein Kommentar von Sebastian Gießler und Matthias Spielkamp

Der Artikel Die Lügen der hyperaktiven Cyborgs (SZ vom 25. Januar) gibt sich aufklärerisch zum Thema Desinformation, doch er bedient nur bequeme Ressentiments.

SZ-Autor Max Muth konstatiert zwar gleich im ersten Absatz „Wie groß das Problem tatsächlich ist, blieb aber unklar“, was die Hoffnung aufkeimen lässt, es folge eine ausgewogene Berichterstattung. Sie wird schnell enttäuscht.

Denn sein Text stellt die Ergebnisse der Studie Fake news on Twitter during the 2016 U.S. presidential election des Wissenschaftsmagazins Science so verkürzt dar, dass man Vorsatz vermuten muss. Zwar referiert der Artikel einen Teil der Ergebnisse durchaus korrekt: Fast 80% der so genannten „Fake-News“-Artikel (die SZ verwendet den äußerst umstrittenen Begriff nicht (mehr) in Anführungszeichen) werden nur von wenigen Nutzer*innen geteilt. Das sind nicht die in der Debatte sehr präsenten Social Bots, sondern von Menschen gesteuerte teilautomatisierte Accounts, die die Studie Cyborgs nennt. Auch zwei Empfehlungen der Studie werden dargestellt:

Zum einen vermuten die Autor*innen, dass die Ausbreitung, und damit der Einfluss, von „Fake-News“-Artikeln reduziert werden könnte, wenn etwa Twitter untersagte, politische Artikel sehr oft weiter zu leiten. Helfen könnten zum anderen, so Muth, „nach Ansicht der Wissenschaftler Warnhinweise, wenn Nutzer Artikel von bekannten Fake-Schleudern teilen oder retweeten wollen. Etwas ähnliches hat Facebook bereits eingeführt. Wer dort eine Nachricht teilen will, die schon von einer durch Facebook autorisierten Fact-Check-Organisation (wie dem deutschen Recherche-Portal Correctiv) widerlegt worden ist, wird auf den angezweifelten Wahrheitsgehalt des Inhalts hingewiesen.“

So weit, so richtig, und wohl weil Facebooks Factchecking nicht so recht passen will zum Narrativ der verantwortungslosen Plattformen, die mit ihrer Tatenlosigkeit  gegenüber Desinformation die Demokratie in Gefahr bringen, schließt Muth mit den Worten: „Ob das bisher einen positiven Effekt gehabt hat? Dazu schweigt Facebook.“

Das ist jedoch längst nicht alles. Denn die Studie geht nicht nur über die im SZ-Artikel genannten Vorschläge hinaus, sie setzt auch völlig andere Schwerpunkte. Sie untersucht den Verteilungsmechanismus von „Fake-News“-Artikeln, aber auch wie häufig Twitter-Nutzer*innen „Fake-News“-Artikeln ausgesetzt sind, also die effektive Reichweite dieser Cyborgs. So kommt die Studie dabei zu dem Ergebnis, dass durchschnittliche Nutzer*innen im Monat vor der US-Wahl 2016 ungefähr zehn Links zu „Fake-News“-Artikeln ausgesetzt waren, also etwa 1,18% des Newsfeeds. Das bedeutet, die Mehrheit politischer Berichterstattung kam von etablierten Nachrichtenmedien, unabhängig von der politischen Einstellung der Nutzer*innen. Die Studie zieht damit nicht nur den Einfluss von Social Bots auf die politische Meinungsbildung in Zweifel, sondern auch die Wirkmacht von politischen Echokammern und Fake-News-Quellen wie Infowars und dem Daily Caller.

Der Artikel der SZ unterstellt, dass politische Beeinflussung statt von Social Bots primär von Cyborgs ausgeht. Die Studie hingegen belegt, dass die Verbreitung von „Fake News“ auf Twitter generell deutlich geringer ist als angenommen. Muth behauptet, die Autor*innen hätten versucht „herauszufinden, wie stark die Wähler von diesen Nachrichten beeinflusst wurden“. Das kann man so formulieren, sollte dann aber auch sehr deutlich machen, dass der Begriff „Beeinflussung“ in dieser Verwendung nichts damit zu tun hat zu belegen, dass es irgendeine Art Veränderung im Verhalten der Rezipienten von Desinformation gibt.

Stattdessen insinuiert der Beitrag einen kausalen Zusammenhang zwischen der Tatsache, „Fake-News“-Artikeln ausgesetzt zu sein, und individuellen Wahlentscheidungen. Das jedoch kann die Studie nicht belegen, behauptet dies aber auch nicht. Eine mögliche – und wesentlich näher liegende – Schlussfolgerung aus der Studie ist daher nicht, dass Social Bots eine geringere Rolle spielen als Cyborgs, sondern zum einen dass „Fake News“ und Echokammern generell geringen Einfluss haben, zum anderen dass  etablierte Nachrichtenmedien weiterhin eine dominante Rolle bei der politischen Meinungsbildung spielen.

Dazu jedoch schweigt die SZ.  


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Foto: Facepalm, (c) Petri Damstén, CC by-nc-sa 2.0

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