
Explainer: KI & Energieverbrauch
KI und Rechenzentren: Woher die ganze Energie nehmen?
Hilft Künstliche Intelligenz dabei, die Klimakrise in den Griff zu bekommen, oder verschlimmert sie sie nur? So oder so werden durch die Flut von KI-Anwendungen immer mehr Rechenzentren gebraucht, für die derzeit Energieressourcen fehlen.

Voraussagen über eine radikale Kehrtwende beim Umweltschutz durch „bahnbrechende“ KI-Innovationen sind immer ziemlich gewagt. Die KI-Branche ist nicht gerade dafür bekannt, gewissenhaft nachzuprüfen, ob von ihr versprochene Maßnahmen im angekündigten Umfang funktioniert haben. Für diese mangelnde Konsequenz hat der Nachhaltigkeitsexperte Vlad Coroamă den Begriff „chronische Potenzialitis“ geprägt: Die KI-Branche ist generell eher daran interessiert, was sein könnte, als sich damit zu beschäftigen, wie die Dinge tatsächlich aussehen. Sie kolportiert die angebliche Innovationskraft von KI aber oft einfach, um sich damit gegen Kritik abzuschirmen.
Ein oft wiederholtes Argument in der Debatte ist: KI mag zwar in mancherlei Hinsicht umweltschädlich sein, aber ihr positiver Einfluss auf den Umweltschutz werde letztlich die negativen Folgen für die Umwelt überwiegen. So geschehen auf dem Breakthrough Energy Summit 2024 in London, wo Bill Gates Umweltschützer*innen und Regierungen sagte, dass sie es mit ihren Sorgen über die gewaltigen Energiemengen, die für neue generative KI-Systeme benötigt werden, „nicht übertreiben“ sollten.
„Wird schon werden“
Die KI-Entwicklung trägt dazu bei, dass der weltweite Energiebedarf steigt. Um diesen Bedarf decken zu können, müssen neue Rechenzentren gebaut werden. Während des Breakthrough Energy Summit prognostizierte Bill Gates, dass durch diese Rechenzentren der weltweite Stromverbrauch um zwei bis sechs Prozent ansteigen werde. Da so ein Anstieg auch die Klimakrise verschärfen würde, geben die neuen Rechenzentren nicht Anlass zur Sorge?
Gates sieht das nicht so. „Letztendlich ist doch Frage, ob wir die Emissionen mit KI nicht um über sechs Prozent reduzieren können. Und die Antwort lautet: ohne Zweifel.“ In immer mehr Bereichen wird KI inzwischen eingesetzt, um innovative Technologien zu entwickeln, auch im Energiesektor. Zum Beispiel versuchen Forscher*innen, mit KI effizientere chemische Verbindungen und Verfahren für Batterien zu entdecken. Die KI-Modelle werden darüber hinaus auch selbst immer effizienter. Eine Studie von Microsoft und PwC aus dem Jahr 2019 schreibt KI das Potenzial zu, die globalen Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um eineinhalb bis vier Prozent zu senken. Da stellt sich wiederum die Frage, woher Bill Gates seine eigene Schätzung hernimmt.
Gates' prognostizierte Treibhausgas-Reduktion ist im Zusammenhang mit Microsoft nicht die einzige Zahl, die zu wachsen scheint. In seinem Nachhaltigkeitsbericht gab Microsoft 2024 zu, dass die vom Unternehmen verursachten Treibhausgas-Emissionen seit 2020 um fast ein Drittel gestiegen sind, was zum großen Teil auf den Bau von Rechenzentren zurückzuführen ist.
Big-Tech-Konzerne müssen bereits bei ihren Klimaversprechen zurückrudern. Googles aggressive KI-Strategie hat in den letzten fünf Jahren zu einem Anstieg seiner Treibhausgas-Emissionen um 48 Prozent geführt. Allein 2023 stiegen die Emissionen um 13 Prozent, führt das Unternehmen in seinem Umweltbericht 2024 aus. Google selbst beschreibt diese Entwicklung als Folge des KI-Booms. Insbesondere der Stromverbrauch von Rechenzentren und die Emissionen entlang der Lieferkette werden als Hauptursachen genannt.
Im Gegensatz zu Bill Gates räumt Google im Bericht ein, dass es „sehr unsicher“ sei, ob die erklärten Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können. Die Umweltfolgen von KI seien nämlich sehr komplex und schwer vorherzusagen. Vorauseilend dämpfte das Unternehmen die Erwartungen: bis 2030 klimaneutral zu werden, wie bis dato geplant war, sei „extrem ehrgeizig“.
Leere Versprechen: Big Tech und Nachhaltigkeit
Auf der einen Seite war in den letzten Jahren ein drastischer Anstieg der von Big Tech zu verantwortenden Emissionen zu verzeichnen. Auf der anderen Seite gibt es keine belastbaren Daten, die die Behauptung stützen würden, dass KI die Nachhaltigkeit fördert. Das unterstreicht die wachsende Kluft zwischen den erklärten Ambitionen der KI-Industrie und der Verantwortung, die sie dann auch tatsächlich auch übernimmt. Je mehr Big Tech in KI investiert, desto mehr rückt die Tatsache ins öffentliche Bewusstsein, dass die Stromversorgung und Kühlung riesiger Rechenzentren die Umwelt belasten.
Das US-Energieministerium schätzte 2024 in einem Bericht, dass sich die Last von Rechenzentren in den letzten zehn Jahren verdreifacht hat und sich voraussichtlich bis 2028 verdoppeln oder verdreifachen werde. Es erwartet, dass KI bald der größte Faktor für die von US-Rechenzentren zu bewältigende Last sein wird. Zwar haben Unternehmen wie Amazon und Microsoft langfristige Vereinbarungen mit Wind- und Solarstromerzeugern getroffen. Diese Vereinbarungen würden aber in der Regel nicht garantieren, dass der Strombedarf der Rechenzentren jederzeit mit lokalen Ressourcen abgedeckt wird − was zugleich bedeutet, dass die durch den Stromverbrauch verursachten Treibhausgas-Emissionen auch nicht unbedingt durch solche Vereinbarungen ausgeglichen werden. Diese offizielle Schätzung zum zukünftigen Energieverbrauch von US-Rechenzentren ist ein besonders wichtiger Richtwert, weil sich die KI-Entwicklung zu einem großen Teil in den USA abspielt.
KI gefährdet die Energiewende
Rechenzentren sind riesige Ansammlungen von Computerservern, die das Rückgrat von KI-Diensten bilden. Ohne sie wären das Speichern, das Verarbeiten und die Distribution von Daten nicht möglich. Für KI werden sehr viele von solchen Servern benötigt. 2022 betrug der Anteil von Rechenzentren am weltweiten Strombedarf insgesamt ungefähr ein Prozent. Für große Volkswirtschaften wie China, die Europäische Union, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten wird für Rechenzentren ein Anteil von zwischen zwei und vier Prozent am gesamten Strombedarf veranschlagt.
Aus solchen Zahlen gehen aber nicht lokale Herausforderungen hervor. Rechenzentren treten häufig geballt auf: Sie sind in der Regel viel stärker räumlich konzentriert als andere, ähnlich energieintensive Infrastrukturen. In mindestens fünf US-Bundesstaaten haben Rechenzentren bereits einen Anteil von über zehn Prozent am Gesamtstromverbrauch. In Irland liegt der Anteil bei über 20 Prozent des insgesamt gemessenen Stromverbrauchs. Die großen Rechenzentren, die zurzeit entstehen, könnten also zu einer erheblichen Belastung lokaler Stromnetze führen.
Sam Altman, der Geschäftsführer von OpenAI, räumte Anfang 2024 ein, dass die KI-Industrie auf eine Energiekrise zusteuert. Da ihr Strombedarf mit emissionsintensiven Stromquellen gedeckt werden müsse, könne eine regional ausgerichtete Energiewende in weite Ferne rücken. Seine Lösung: Kernenergie. Schon 2021 hatte er in das Atomkraft-Unternehmen Helion Energy investiert. Auch Google, Amazon und Microsoft investieren in neue Kernkraftwerke, aber es kann Jahrzehnte dauern, bis die Meiler in Betrieb gehen. Abgesehen von grundsätzlichen Bedenken darüber, ob Kernenergie wirklich eine sichere, nachhaltige und kosteneffiziente Technologie ist: Sie ist kein Ausweg aus dem aktuellen Energieengpass. Die Klimakrise wird womöglich unumkehrbare Folgen haben, wenn wir nicht sofort etwas tun, um sie zu vermeiden. Eine Technologie, deren potenziell positive Auswirkungen sich erst viele Jahre später zeigen würden, ist angesichts der drängenden Herausforderungen schlicht untauglich. Eine sofortige Antwort auf den Energiebedarf von KI ist gefragt. Kernenergie hilft an dieser Stelle nicht weiter.
Die Big-Tech-Unternehmen, die eine Klimaneutralität in Aussicht gestellt haben, müssen ihre Klimabilanz mit „Renewable Energy Credits“ (RECs) frisieren, Gutschriften, mit denen angeblich die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien gefördert wird. Diese Regelung hat einen grundlegenden Makel: Dafür zu bezahlen, dass irgendwann und irgendwo auf der Welt Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird, deckt einfach nicht ansatzweise die Strommenge ab, die KI-Rechenzentren an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt verbrauchen. Und selbst wenn ein Solarpark-Betreiber Fördersummen für das Erzeugen von Strom erhält, der ohnehin produziert worden wäre, verschwinden dadurch nicht die Emissionen eines Serverparks, die der Strom aus einem Erdgaskraftwerk an einem anderen Ort verursacht hat.
Amazon Employees for Climate Justice ist eine Gruppe von Amazon-Angestellten, die von dem Unternehmen seriösere Klimaschutz-Maßnahmen fordern. In einem Bericht schreibt sie, dass Amazon-Rechenzentren an ihrem jeweiligen Standort die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen in die Höhe treiben. Die Organisation erklärt zudem, dass ein erheblicher Teil der RECs von Amazon nicht zur Entwicklung neuer Projekte beitrage, und schätzt, dass 78 Prozent der von Amazon in den USA verbrauchten Energie aus nicht-erneuerbaren Quellen stammen. Sie beschuldigt das Unternehmen, solche Sachverhalte mit einer „kreativen Buchführung“ zu verschleiern, um behaupten zu können, dass es sich dem grünen Strom verschrieben hat.
Selbst wenn Big Tech erneuerbare Energien wirklich fördern würde: Öl- und Gasunternehmen werden das ganz sicher nicht tun. KI wird schon länger dazu eingesetzt, fossile Brennstoffe zu produzieren. Die Unternehmensberatung EY hat auf ihrer Website geschrieben, dass mehr als 92 Prozent der Öl- und Gasunternehmen entweder schon in KI investieren würden oder es in den nächsten zwei Jahren tun wollten. (Die Seite mit der entsprechenden Umfrage wurde inzwischen gelöscht. Sie ist aber im Internet-Archiv aufrufbar.) In einem Bericht aus dem Jahr 2024 heißt es, dass Microsoft aggressiv mehrere Hundert-Millionen-Dollar-Geschäfte mit verschiedenen großen Ölkonzernen wie ExxonMobil, Chevron und Shell verfolge, die mit der Hilfe von KI effizienter fossile Brennstoffe gewinnen wollen. Kann KI wirklich gleichzeitig die Klimakrise bekämpfen und Konzerne bereichern, die ihr Geld mit fossilen Energieträgern machen?
Global betrachtet sind die Regionen, für die der größte Zuwachs an Rechenzentren vorausgesagt wird, tendenziell auch Gebiete, in denen ein großer Anteil des erzeugten Stroms aus fossilen Brennstoffen stammt. Die meisten Rechenzentren befinden sich in den USA, und dort meistens in Gebieten, wo Gas oder Kohle leicht zugänglich sind, zum Beispiel in North Virginia. Die fossile Energieerzeugung aus Kohle und Gas macht immer noch den größten Teil der landesweiten Stromerzeugung aus. China ist vermutlich das Land mit der nächstgrößeren Anzahl an Rechenzentren. Auch dort dominiert mit der Kohle ein fossiler Energieträger die Stromversorgung.
Der Energieverbrauch ist nicht der einzige Fußabdruck
Manchmal werden negative Umweltfolgen auch verlagert. Wenn Rechenzentren zum Beispiel ihren Stromverbrauch durch eine Wasserkühlung senken, wird der Energieverbrauch nur auf Kosten eines erhöhten Wasserverbrauchs gesenkt. Ein anderes Beispiel wäre, wenn mit neuen Materialien eine bessere Energieeffizienz herbeigeführt wird, aber dadurch auch der Materialfußabdruck bei der Produktion größer wird.
In den letzten Jahren hat der Wasserfußabdruck von Rechenzentren von sich reden gemacht. Aus dem Serverbetrieb geht als Nebenprodukt Wärme hervor, weshalb Rechenzentren die Hardware kühlen müssen, wozu Wasser verwendet wird. Im Jahr 2023 schätzten Forscher*innen der University of California, Riverside und der University of Texas at Arlington, dass das Training des großen Sprachmodells ChatGPT3 von OpenAI in Microsoft-Rechenzentren ungefähr 700.000 Liter Wasser verbraucht hat. In vielen Fällen stammt dieses Wasser aus dem Grundwasser von Regionen, in denen bereits Dürre und Wasserknappheit herrscht. Da Rechenzentren so viel Strom verbrauchen, ist auch der Wasserverbrauch bei der einhergehenden Stromerzeugung immens. In den USA werden etwa 40 Prozent des gesamten Wassers aus Seen oder Flüssen zum Kühlen von Kernkraftwerken und fossil-thermischen Kraftwerken verwendet: Es ist der größte einzelne Verbrauchsposten von Süßwasser im Land.
Hinzu kommen noch die Umweltfolgen, die der Abbau von Mineralien nach sich zieht, mit denen die in Rechenzentren verwendeten elektronischen Komponenten hergestellt werden. Um solche Mineralien zu gewinnen, sind verschiedene energieintensive chemische Verfahren erforderlich, die das Land oft durch giftige Aufbereitungsrückstände oder andere Abfallprodukte unbrauchbar machen. Elektro-Abfälle sind oft nicht wiederverwertbar und landen auf Müllhalden. Selbst in Europa und den USA, wo das Recycling eine gängige Praxis ist, liegt die Recyclingquote für Elektronikgeräte im Durchschnitt bei unter 20 Prozent. Das Baker Institute an der Rice University bezeichnet Elektroschrott als den weltweit am schnellsten wachsenden Müll.
Wie Konzerne umweltbewusster werden könnten
Was ist zu berücksichtigen, um auf den steigenden Energieverbrauch von KI angemessen zu reagieren?
Eine wirksame Maßnahme könnte darin bestehen, Anbieter digitaler Infrastrukturen zu einem geringeren Energie- und Ressourcenverbrauch zu verpflichten. Big Tech muss bislang kaum gesetzliche Auflagen erfüllen. Deshalb fehlt den Unternehmen auch ein Anreiz, sich zu mehr als Lippenbekenntnissen und freiwilligen Selbstverpflichtungen durchzuringen. Öffentliche und private Investitionsprojekte sollten ressourceneffiziente KI bevorzugen. Technologieunternehmen könnten sicherstellen, dass sie nur dann neue Rechenzentren bauen, wenn deren Energiebedarf durch erneuerbare Quellen gedeckt ist, die Energie vor Ort erzeugt wird und sie dem tatsächlichen Verbrauch der jeweiligen Rechenzentren entspricht.
Damit das Ausmaß des Problems besser sichtbar wird, müssen Technologieunternehmen die Umweltauswirkungen von KI entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf der Grundlage aktueller Forschung bewerten, entsprechende Daten erheben und negative Folgen eindämmen. Diese Bewertungen und die ergriffenen Maßnahmen sollten transparent gemacht werden. Anbieter von KI-Infrastruktur sollten außerdem Informationen über die Entwicklung, den Ressourcenverbrauch und die Auswirkungen ihrer Rechenzentren offenlegen, bevor sie gebaut werden. Auf diese Weise könnten sich Versorgungsunternehmen und die Stromnetzplanung daran ausrichten und den zukünftigen Energiebedarf genauer einschätzen. Regulierungsbehörden sollten Scheinlösungen wie den Emissionsausgleich, der effektiv keine Emissionen reduziert, von vornherein ablehnen.
Technologieunternehmen sollten sicherstellen, dass die Rohstoffgewinnung entlang der KI-Wertschöpfungskette weder die Umwelt noch die lokale Bevölkerung schädigt. Der Bau neuer Rechenzentren darf nicht dazu führen, dass die Menschen vor Ort unter Wasserknappheit leiden oder Anbaufläche verödet. Außerdem sollten die Betreiber der Rechenzentren Daten über die Umweltfolgen ihrer Hardware erheben und veröffentlichen: Daten über die Entwicklung, den Transport und die Entsorgung der Hardware.
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