Gefährden Googles KI-Zusammenfassungen unseren Medienpluralismus? Neue Regeln ermöglichen Untersuchung.
Google könnte den Web-Traffic zunichtemachen, der bisher eine Lebensader für zuverlässige Informationen im Netz ist. Grund dafür sind die KI-Zusammenfassungen (AI Overviews) in Googles Suchfunktion, die Links zu anderen Websites zur Randfunktion degradieren und den Fokus auf kurze Zusammenfassungen lenken. Die sind jedoch keineswegs immer korrekt: So konnte man beispielsweise noch ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl lesen, Olaf Scholz sei weiterhin Kanzler. AlgorithmWatch stellt nun einen der ersten Anträge auf Datenzugang nach neuen EU-Vorschriften, um die KI-Zusammenfassungen als systemisches Risiko für die Medienfreiheit zu untersuchen.

Google hat KI-Zusammenfassungen als Standardfunktion in seiner Suche eingeführt. Diese Übersichten erscheinen direkt über den Links zu tatsächlichen Informationen und verdecken diese weitgehend, sodass Nutzer*innen sich nicht mehr die Mühe machen müssen, die eigentlichen Quellen aufzurufen. Der Traffic von Google zu anderen Seiten, also zu journalistischen Medien bis hin zu Expert*innenorganisationen, sinkt bereits jetzt erheblich. Das gefährdet die Bereitstellung zuverlässiger Informationen, da die Anbieter derselben auf Besuche ihrer Websites angewiesen sind.
Was wird diese Websites in Zukunft ersetzen? Ein unzuverlässiges, intransparentes KI-Tool, von dem Google behauptet, dass es keine KI-Zusammenfassungen für Nachrichten oder politische Themen anzeigen wird? Als wir im September 2025 versucht haben, nach Informationen zur deutschen Regierung zu suchen, erhielten wir problemlos KI-Zusammenfassungen – darunter mehrere, die behaupteten, Olaf Scholz sei weiterhin Bundeskanzler. In jüngsten Tests konnten wir hingegen beobachten, dass KI-Zusammenfassungen zu politischen Themen seltener angezeigt worden sind als bei vorherigen Versuchen. Wie bei vielen Dingen, die mit KI zu tun haben, bleibt unklar, wie diese Tools genau funktionieren und welche Entscheidungen von ihren Entwickler*innen getroffen werden – und ob potenzielle Risiken überhaupt angemessen berücksichtigt werden.
Die beobachtete Änderung könnte eine Reaktion auf unsere Beschwerde über die Einführung der KI-Zusammenfassungen sein. Gemeinsam mit anderen NGOs, Verbänden und Organisationen der Medienwirtschaft haben wir diese Anfang Oktober 2025 beim deutschen Koordinator für digitale Dienste (Digital Services Coordinator, DSC) eingereicht.
Die erwähnte Änderung kann freilich auch andere Gründe haben, beispielsweise, dass Google erst nach der Implementierung der Funktion Maßnahmen zur Risikominderung ergriffen hat. Eigentlich hätte Google bereits vor der Einführung des Tools eine Risikobewertung durchführen müssen. So schreibt es das EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA) vor. Ob und wie dies geschehen ist, bleibt jedoch unklar. Angesichts des enormen Risikos für unsere Informationslandschaft ist genau das jedoch inakzeptabel.
Plötzliche, intransparente Änderungen und reaktive statt proaktive Risikominderung sind bei neuen KI-Produkten ein bekanntes Muster. Sie stellen eine große Hürde für das Ziel dar, Technologie zu entwickeln, die die Demokratie und den Zugang zu verlässlichen Informationen stärkt, statt sie zu schwächen.
Glücklicherweise wurden diese Woche auch neue Regeln für den Datenzugang im Rahmen des DSA eingeführt. Die neuen Regeln nach Artikel 40.4 DSA ermöglichen es nicht-kommerziellen Forschungsorganisationen, interne Unternehmensdaten anzufordern und damit sogenannte „systemische Risiken“ zu untersuchen. Dazu zählt auch das Risiko für Informationsfreiheit und Medienpluralismus, das unserer Einschätzung nach von den KI-Zusammenfassungen ausgeht.
Daher haben wir in der ersten Woche, in der diese Regeln in Kraft getreten sind, eine der ersten Datenzugriffsanfragen nach Artikel 40.4 gestellt, um zu erfahren, wie viele Menschen nach einer Suche überhaupt noch Websites aufrufen und wie viele umgekehrt auf der Ergebnisseite mit der KI-Zusammenfassung verbleiben. Die Anfrage wurde an die deutsche Koordinationsstelle für digitale Dienste gesendet. Diese muss nun prüfen, ob die Anfrage alle notwendigen Anforderungen der neu in Kraft getretenen Regeln erfüllt.
Leider sind diese neuen Regeln erst mit einiger Verzögerung in Kraft getreten. Eigentlich sollten sie bereits seit Februar 2024 rechtsverbindlich sein – und tatsächlich hatten wir schon an diesem Tag eine Datenzugangsanfrage gestellt, die sich auf die Verwendung von Chatbots vor den Wahlen zum Europäischen Parlament bezog. Aufgrund verschiedener Probleme bei der Umsetzung hat es jedoch 20 Monate gedauert, bis Artikel 40.4 ordnungsgemäß in Kraft treten konnte. Das ist ein wiederholtes Problem beim DSA, wie wir bereits an anderer Stelle dargelegt haben. Zwar müssen Gesetze mit Sorgfalt umgesetzt werden, doch die langen und unvorhersehbaren Wartezeiten schaffen viele Unwägbarkeiten für Organisationen und Einzelpersonen, die den DSA für seinen vorgesehenen Zweck nutzen möchten.
Zunächst braucht es Sicherheit, dass die Ergebnisse von Anfragen gemäß Artikel 40 auch tatsächlich genutzt werden können und sollen, um echte Veränderungen durchzusetzen, wo diese zum Schutz vor systemischen Risiken durch große Technologieunternehmen notwendig sind. Wie wir bereits erwähnt haben, sind wir der Meinung, dass die Durchsetzung des DSA bisher noch Mängel aufweist. Zuletzt hat die EU im Umgang mit Meta und TikTok immerhin neue Schritte eingeleitet. Aber im Fall von X warten wir seit Monaten auf die entsprechenden Sanktionen, gegen die (nach unserer Meinung) sehr eindeutigen Verstöße. Wir hoffen, dass die neuen Regeln für den Datenzugang uneingeschränkt unterstützt werden und Untersuchungen ermöglichen, die aufzeigen, wo weitere Durchsetzungsschritte erforderlich sind.