Neuer Bericht von AlgorithmWatch: Identitätsmanagement und Citizen-Scoring in Ghana, Ruanda, Tunesien, Uganda, Simbabwe und China

Eine neue Untersuchung zur digitalen Identitätsfeststellung in fünf afrikanischen Ländern zeigt, dass sich ein Großteil des Kontinents sich darauf vorbereitet, umfangreiche biometrische Registrierungen einzurichten. Dies könnte in naher Zukunft das umfassende Scoring von Bürger*innen Bürgerbewertung oder eine automatisierte Überwachung ermöglichen.

Der AlgorithmWatch-Bericht Identity-management and citizen scoring in Ghana, Rwanda, Tunisia, Uganda, Zimbabwe and China entstand im Mai 2019 im Auftrag einer im öffentlichen Sektor tätigen Organisation, die ungenannt bleiben möchte. Wir haben kürzlich die Genehmigung erhalten, den Bericht hier zu veröffentlichen.

In vielen afrikanischen Ländern hat die von den Vereinigten Staaten und später auch von den Mitgliedern der Europäischen Union geforderte Verpflichtung zur Ausstellung biometrischer Pässe Anfang des Jahres 2000 die Tür zur biometrischen Registrierung ganzer Bevölkerungsgruppen geöffnet. Es wurde ein neuer Wirtschaftszweig wurde geschaffen, der Technologie für Gesichtserkennung, Fingerabdruckleser und Software zur Verarbeitung dieser neu erworbenen Daten bereitstellen soll.

Schneller Grenzübertritt

Die biometrische Identifikation macht viele Versprechungen - sowohl für den Staat als auch für seine Bürger*innen. In Ländern, in denen der größte Teil der wirtschaftlichen Transaktionen nicht von den Behörden erfasst wird, verheißt die eindeutige Identifizierung von Personen, die an einer kommerziellen Transaktion beteiligt sind, eine enorme Steigerung der Steuereinnahmen.. Die Auswirkungen der biometrischen Identifizierung können schon jetzt am Grenzübergang zwischen der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda beobachtet werden. Dort erfolgt die Passkontrolle durch automatisierte Schleusen dreimal schneller als bei der Bearbeitung durch Menschen, was die Wartezeit der Reisenden deutlich verkürzt.

Andere Vorteile sind nicht so eindeutig. Die Hersteller von Identifikations-Software behaupten, dass die biometrische Registrierung von Wähler*innen dazu beiträgt, freie und faire Wahlen zu gewährleisten Doch von allen im Bericht überprüften Wahlen war nur eine unangefochten, die tunesische Parlamentswahl 2014. Sie war auch die Wahl einzige unter den Stichproben, die nicht die biometrische Registrierung der Wähler*innen gesetzt als Voraussetzung hatte.

Einmischung aus dem Ausland

Seit 2015 bringt die Konferenz ID4Africa jährlich Fachleute für Identitätsmanagement aus afrikanischen Ländern und darüber hinaus zusammen. Eine Analyse der Konferenzdokumentation ergab, dass die überwiegende Mehrheit der nicht-afrikanischen Referente*innen keine unabhängigen Experten, sondern Vertriebsmitarbeiter*innen ausländischer Unternehmen waren. Von den 93 Aussteller*innen der Abuja-Konferenz 2018 waren nur 11 in Afrika vertreten.

Diese Abhängigkeit von ausländischen Technologien führt zu besonderen Problemen. So wurde in Simbabwe bekannt, dass das für die Wahlregistrierung zuständige Personal Wähler*innen mitunter weismachte, dass die Fingerabdruckscanner die Wahlentscheidung voraussagen könnten, sodass sich Menschen gezwungen sahen, für eine bestimmte Partei zustimmen.

Gelder für die internationale Entwicklungshilfe können auch dafür genutzt werden, Technologie aus dem Ausland zu kaufen, was den Verdacht zulässt, dass öffentliche Ausschreibungen bewusst manipuliert werden. Es wurde berichtet, dass die französische Regierung in den 2000er Jahren Ghana etwa 30 Millionen Dollar bereitstellte, unter der Bedingung, dass damit Produkte der französischen Firma Sagem gekauft werden müssen die jetzt Teil von Safran-Morpho ist.

Versuchsfelder

Die chinesische Firma CloudWalk hat den Auftrag erhalten, eine umfassende Datenbank mit Gesichtern und körperlichen Merkmalen der simbabwischen Bevölkerung aufzubauen. Lokale Journaliste*innen interpretierten diese Vereinbarung als eine Möglichkeit für chinesische Unternehmen, ihre Software für  Gesichtserkennung für dunklere Hauttypen zu optimieren, um die amerikanische Konkurrenz auszustechen.

Während einige befürchten, dass die Einmischung Chinas dazu führen könnte, dass Despoten vor Ort Massenüberwachungssysteme einführen, die denen ähneln, die in Uiguren in Xinjiang eingesetzt werden, ergeben sich andere Risiken im lokalen Kontext.

In Ruanda wurde beispielsweise im Jahr 2004 ein Citizen-Scoring-System mit dem Namen Ubudehe eingeführt. Alle Ruander*innen wurden von den Dorfbewohner*innen und Dorfältesten in sechs Kategorien eingeteilt. Die Kategorisierung wird insbesondere zur Verteilung von Sozialleistungen eingesetzt. So waren beispielsweise Schüler*innen aus Familien, die als „wohlhabend“ eingestuft wurden, bis vor kurzem nicht berechtigt, Stipendien zu erhalten.

Einige befürchten, dass die flächendeckende Identifizierung, die mit Programmen wie Ubudehe einhergeht, jeden Fehler in den Daten unausweichlich macht und bestehende Ungleichheiten verstärkt.

Zum Report (Englisch):

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