Kein Einkommen, ohne sich zu outen: Sexarbeiter*innen im Netz

Twitter-Konten, über die meistens schwule Fetisch-Inhalte verbreitet wurden, gerieten im März ins Visier der Staatsanwaltschaft. Ihre Inhaber werden beschuldigt, Minderjährigen pornographische Inhalte zugänglich zu machen, was eine Straftat ist. Die Jugendschutzbeauftragte und Sexarbeiterin Fabienne Freymadl erklärt, wie sich vermeiden lässt, strafrechtlich belangt zu werden, und warum das deutsche Recht Sexarbeiter*innen eine Online-Präsenz nicht einfach macht.

Story

19. April 2023

#interview #twitter

© Fabienne Freymadl

Die Twitter-Richtlinien erlauben unter bestimmten Voraussetzungen das Veröffentlichen von Pornographie. Nach Paragraph 184 des Strafgesetzbuchs ist die Verbreitung pornographischer Inhalte aber verboten, um Personen unter achtzehn Jahren zu schützen. Können Twitter-Nutzer*innen schon wegen eines Likes für einen auf Twitter erlaubten Inhalt bestraft werden?

Die Urteile, die es dazu bis jetzt gegeben hat, lassen das nicht vermuten. Durch ein reines Like mache ich mir den Inhalt rechtlich gesehen nicht zu eigen und das ist die Voraussetzung für einen Strafbestand. Wenn ein pornographischer Inhalt aber zum Beispiel retweetet wird, dann taucht er im Gegensatz zu einem einfachen Like im Feed auf und die Rechtsprechung bewertet das als ein „Sich-zu-eigen-Machen“ des Tweets und des Inhalts. Auch wenn du das likest und unter den Tweet einen Kommentar schreibst, wie geil dich das macht, könntest du ein Problem bekommen.

Ist es möglich, eine Bestrafung nach Paragraph 184 zu umgehen, indem das Profil auf Twitter oder anderen sozialen Plattformen in Deutschland nicht sichtbar gemacht wird?

Das geht wohl nicht. Bei OnlyFans, LoyalFans und all den ganzen Webcam-Sites kannst du Kundschaft aus bestimmten Ländern ausschließen. Diese Funktion nutzen Leute, die international arbeiten und im Heimatland anonym bleiben wollen, das machen viele Menschen aus Ländern so, in denen Sexarbeit illegal und kriminalisiert ist. Auf Twitter ist das nicht so einfach, wenn nicht gerade eine Behörde so eine Anfrage stellt.

Und wenn jemand in Deutschland VPN benutzt?

Ich weiß, dass ich mit VPN auf Profile zugreifen kann, die in Deutschland gesperrt sind. Twitter greift auf häufig benutzte IP-Adressen, Interaktionen und so weiter zu, um den Standort zu bestimmen. Es bringt also generell nicht viel, durch VPN-Server den Standort zu ändern. Vielleicht reicht das, um für die Kommission für Jugendmedienschutz unsichtbar zu bleiben. Ich weiß nicht, in welchem Umfang sie Zugriff die auf Twitter-Daten hat, die verraten, ob Nutzer*innen wirklich aus Deutschland kommen.

Wie wahrscheinlich ist es überhaupt, eine Strafanzeige zu bekommen?

Erst gab es 150 Strafanzeigen, dann wurden laut dem letzten Spiegel-Artikel zu dem Thema nochmal 84 verschickt. Die zweite Runde von Strafanzeigen ist damit zu erklären, dass die Staatsanwaltschaft testen wollte, ob Twitter das noch verfolgt. Das ist für mich ein Indiz dafür, dass sie noch ganz schön viele Profile in der Hinterhand hat. Die haben sich jetzt die mit der stärksten Reichweite rausgesucht. 

Ich würde nicht sagen: Die finden euch schon nicht. Oder dass das relativ unwahrscheinlich ist. Das wäre das falsche Signal, die Leute dürfen sich nicht in Sicherheit wiegen. Es ist auf jeden Fall sinnvoll, sich für bestimmte Fetisch-Inhalte eigene und anonyme Profile anzulegen, diese Profile sauber zu halten und sich einen neuen Usernamen zuzulegen, der sich unmöglich auf den realen Namen zurückführen lässt. Ich glaube, dass das gerade der einzige gute Rat wäre. 

Im März hast du auf Twitter erklärt, was Nutzer*innen löschen sollten, um ihren Account jugendsicher zu machen.Welche anderen Möglichkeiten gibt es noch?

Die meisten Leute, die Pornos ins Internet stellen, sind keine Hobby-Enthusiasten, die das aus Spaß machen. Die meisten verdienen damit ihr Geld. Sie sind darauf angewiesen, dass ihre Kund*innen zum Beispiel über Twitter auf ihre OnlyFans-Seite gelangen. Sie sind also auf die Verlinkung angewiesen, weil sie sie für ihr Marketing und Branding brauchen. 

Die einfachste Anweisung wäre: Haltet euch von allem fern, was irgendwie als schmutzig gelten könnte. Alles andere ist schwierig einzuschätzen. Da sitzen in irgendeiner Medienanstalt Menschen, die nach nur sehr schwammig formulierten Kriterien bestimmen, was erlaubte Erotik und was verbotene Pornographie ist. Selbst in einer Mahnung steht nur „Auf Ihrem Account befinden sich problematische Inhalte.” Es wäre schön, einfach eine Liste zu haben, auf der steht, was es zu beachten gilt, und alles wäre gut. Aber das Perfide ist ja, dass die Nutzer*innen den Gutachter*innen ausgeliefert sind. Wenn sie es mit einer Person zu tun haben, die vielleicht ein bisschen konservativer ist, kann alles gleich viel schlimmer sein. 

Wie können wir uns die Konsequenzen so einer Strafanzeige vorstellen Ist das wie bei einem Knöllchen, also es gibt eine Strafgebühr und damit hat sich die Sache? 

„Ersttäter“ erhalten eine Strafanzeige, die gegen eine Zahlung von 300 Euro eingestellt und in eine Ordnungswidrigkeit umgewandelt wird - unter der Bedingung natürlich, dass fragliche Inhalte sofort gelöscht werden und Ähnliches nicht nochmal in dem Account auftaucht. Wenn du dann ein zweites Mal erwischt wirst, ist eine Vorstrafe nicht mehr zu vermeiden. 

Was sollten diejenigen, die sexuell explizite Inhalte im Netz posten, noch wissen?

Ich kann nur an alle appellieren, dass sie sich ganz genau überlegen, ob sie ihren Klarnamen oder einen Namen verwenden wollen, der irgendeinen Rückschluss auf ihre Identität ermöglicht. Wenn sie Inhalte ins Netz stellen wollen, die ihnen Probleme bereiten könnten, sollten sie unbedingt darauf achten, dass sie anonym bleiben: also dabei VPNs nutzen, Messenger benutzen, bei denen eine Rückverfolgung nicht möglich ist, und auch E-Mails nur mit Verschlüsselung versenden. Viele von denen, die jetzt eine Anzeige bekommen haben, wissen überhaupt nicht, wie das passieren konnte, weil sie sich wirklich darum bemüht haben, anonym zu bleiben. Alle, die solche Inhalte posten, sollten sie entsprechend markieren: mit dem Hinweis NSFW („Not Suitable For Work“) oder auch „Nicht unter 18“. Wenn sie Websites betreiben, sollten sie außerdem Jugendschutzprogramme installieren. 

Aber für all diejenigen, die mit Pornos ihr Geld verdienen, ist es ausgeschlossen, komplett anonym zu bleiben?

Alle müssen sich auf jeder Plattform, auf der sie etwas verkaufen wollen, wahrheitsgemäß mit ihren persönlichen Daten registrieren. Wer weiß aber schon, wo die ganzen Plattformen ihren Sitz haben? Und wie können wir wissen, was sie mit unseren Daten machen? Das bedeutet, dass meine Identität immer entdeckt werden kann, wenn ich über Plattformen Geld verdiene. In Deutschland haben wir auch die Impressumspflicht: Auf einer Website muss eine ladungsfähige Anschrift mit meinem bürgerlichen Namen stehen, sonst mache ich mich strafbar oder abmahnfähig. Es ist gar nicht möglich, über das Internet legal und anonym ein berufliches Einkommen zu haben. 

Vielen Dank für das Gespräch!


Bei meiner Recherche habe ich entdeckt, dass sich einige Adult Content Creator fragen, ob es hilft, ihr Twitter-Profil auf Privat zu stellen. Hier dazu eine Antwort von dem Team von Christian Solmecke, einem Anwalt für Internet- und Medienrecht und Webvideo-Produzenten:  

Das öffentliche Verbreiten pornografischer Inhalte ist nach § 184 StGB strafbar, außerdem ist es nach § 4 Absatz 2 Jugendmedienschutzstaatsvertrag unzulässig, solche Inhalte u.a. über soziale Medien zu verbreiten. Zwar gilt Letzteres nicht, sofern von Seiten des Anbieters sichergestellt ist, dass sie nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden (geschlossene Benutzergruppe). Das reine Privatstellen eines Twitter-Accounts reicht dafür aber nicht aus, schließlich gibt es hier weiterhin kein anerkanntes Altersverifikationssystem. Vielmehr kann auch bei privaten Accounts jeder eine Anfrage stellen und es liegt im Ermessen des Account-Betreibers, diese Person zuzulassen oder nicht. Allerdings ist es natürlich so, dass bei privaten Accounts die Landesanstalt für Meden keinen Zugriff mehr auf dessen Inhalte hat. Daher macht das zumindest die rechtliche Verfolgung schwieriger.

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