UN-Sonderberichterstatter prangert “menschenrechtsfreie Zonen” an

Der von den Vereinten Nationen ernannte Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte hat einen Bericht veröffentlicht, der auf das Schärfste verurteilt, wie Regierungen die Sozialsysteme privatisieren und automatisieren.

Nicolas Kayser-Bril
Head of Journalism (in Elternzeit)

Anfang 2019 ernannte der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UN) Philip Alston, Professor für Recht an der New York University, zum Sonderberichterstatter für extreme Armut und Menschenrechte. Alston wird seinen 20-seitigen Bericht (docx-Datei 77,3 KB) am Freitag auf der UN-Generalversammlung vorstellen.

Alston und sein Team stützen ihren Bericht auf 60 Stellungnahmen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Wissenschaftlern oder Unternehmen, die ihnen bis Mai dieses Jahres vorgelegt wurden. Die im Juni veröffentlichte Einreichung von AlgorithmWatch wird im Report mehrfach zitiert.

Der Bericht fasst zahlreiche Beispiele für „digital welfare“ aus einer Vielzahl von Ländern zusammen: Von Kenias Versuch, die gesamte Bevölkerung biometrisch zu erfassen, bis hin zum niederländischen SyRI-Programm (AlgorithmWatch berichtete im Juni 2018). Während Alston die Auffassung vertritt, dass die Digitalisierung theoretisch zu einer besseren und effizienteren Verteilung der Sozialleistungen beitragen könnte, stellt er fest, dass diese Vision nicht umgesetzt wird. Stattdessen schreibt er, dass der digitale Wohlfahrtsstaat auf seinem jetzigen Weg eher „ein trojanisches Pferd für die neoliberale Feindseligkeit gegenüber Fürsorge und Regulierung“ sei.

„ Verheerende Zukunft“

Alston verwendet im gesamten Bericht so eine deutliche Sprache, was für eine sehr interessante Lektüre sorgt. Er verurteilt die mangelnde Regulierung von privatwirtschaftlichen Unternehmen, insbesondere von Big Tech, die in einer nahezu „menschenrechtsfreien Zone“ operieren und gleichzeitig Werkzeuge verkaufen, die Sozialsysteme umgestalten und oft die überaus wichtige menschliche Komponente beseitigen. Er hebt die politische Verantwortung für viele angeblich auf Effizienzsteigerung ausgerichtete Bemühungen hervor, die es ermöglichen, „dass sich die neoliberale Wirtschaftspolitik nahtlos in das einfügt, was als wegweisende Sozialreformen dargestellt wird“.

Zudem schreibt er, dass die aktuelle stattfindende Digitalisierung am meisten Menschen in Armut beträfe. Zum einen verfügten sie nicht über die nötigen Mittel und Wege, um die sie betreffenden Dienste zu nutzen. Zum anderen würden sie durch diese Dienste systematisch in einer Weise diskriminiert, die bestehende Ungleichheiten verstärke. Seine eindeutige und alarmierende Schlussfolgerung: "Eine Zukunft geprägt von Technologie wird ein Desaster sein, wenn wir sie nicht durch die Einhaltung der Menschenrechte leiten lassen.

Keine UN-Erklärung

Sonderberichterstatter verwenden oft eine solche direkte Sprache, die sich vom geschliffenen Ton offizieller Erklärungen anderer UN-Organe unterscheidet. Für Ronny Patz, Post-Doctoral Research Fellow an der Universität München und Spezialist für die Vereinten Nationen, richtet sich die Arbeit der Berichterstatter viel mehr an die öffentliche Meinung als an Diplomaten der UN-Mitgliedsstaaten. Es sei unklar, ob eine solche Strategie wirksam sei, um die UN-Mitgliedstaaten dazu zu bringen, das anstehende Problem anzugehen, fügt er hinzu.

Der Bericht von Herrn Alston könnte kurzfristig wenig Einfluss auf die Sozialpolitik haben. Seine Schärfe zeigt jedoch, dass es einen wachsenden Konsens unter Akademikern gibt, dass automatisierte Entscheidungsfindung im öffentlichen Sektor bei weitem kein neutrales Instrument ist, wie AlgorithmWatch mehrfach dargelegt hat.

Der Bericht ist (auf Englisch) auf der Website des UN-Sonderberichterstatters abrufbar (docx-file).

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