Warum die Google-Suchergebnisse in den USA die Demokraten bevorteilen

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Warum die Google-Suchergebnisse in den USA die Demokraten bevorteilen. Nicht weil Google politisch voreingenommen wäre – es steckt mehr dahinter.

von Daniel Trielli, Sean Mussenden und Nicholas Diakopoulos

Dieser Artikel gehört zu Future Tense, einem Gemeinschaftsprojekt der Arizona State University mit New America und Slate.

Wir veröffentlichen exklusiv die deutsche Fassung; englisches Original hier (ENGLISH).

Erste Hinweise darauf, dass das Ranking der Suchergebnisse bei Google nicht ganz objektiv ist, sondern die eigenen Produkte gegenüber jenen der Konkurrenten bevorzugt, fanden Wissenschaftler der Harvard University schon 2010. Zwei Jahre später ergab auch eine Untersuchung der Federal Trade Commission, also der Kartellbehörde, dass das Unternehmen sein Suchmonopol missbraucht, um den eigenen Angeboten einen Vorteil zu verschaffen. Dass Google-Suchergebnisse nicht rein objektiv und unvoreingenommen sind, ist also kein Geheimnis. Aber wenn sich in den USA jetzt die Kandidatensuche für den Präsidentschaftswahlkampf zuspitzt und politische Talkshows zur besten Sendezeit laufen, was bedeutet dann eine solche Schieflage in den Ergebnissen der Google-Suche für die Wahlen und das demokratische Gemeinwesen?

Google ist unter dem Strich nicht fair: Die Suchmaschine bevorzugt bestimmte Kandidaten vor anderen. Und anscheinend hat sie eher ein Faible für Demokraten.

Am 1. Dezember 2015 haben wir anhand der Namen von 16 Präsidentschaftskandidaten eine crowdgesourcte Analyse der entsprechenden Google-Suchergebnisse durchgeführt. Das Ergebnis: Demokraten sind bei Google besser dran als Republikaner, gemessen daran, wie viele Treffer auf der ersten Suchergebnisseite die jeweiligen Kandidaten positiv darstellen. Im Durchschnitt konnten Demokraten sieben positive Suchergebnisse unter den ersten zehn Treffern verzeichnen, während die Kandidaten der „Grand Old Party“, also der Republikaner, sich mit durchschnittlich 5,9 zufrieden geben mussten.

Nur der Klarheit halber: Wir behaupten nicht, Google wäre der digitale Arm der Democratic Party. Aber unsere Analyse zeigt deutlich, dass in den Ergebnissen zu den verschiedenen Kandidaten bestimmte Tendenzen und Unterschiede zu erkennen sind. Aufgrund einseitiger Entscheidungen eines sendungsbewussten Software-Programmierers? Möglich, aber sehr unwahrscheinlich. Die Ungleichgewichte sind wohl eher das natürliche Ergebnis komplexer Quantifizierungsprozesse, bei denen eine immer komplexere künstliche Intelligenz Hunderte von Signalen gleichzeitig verarbeitet. Aber wenn so das „natürliche“ Ergebnis der Google-Algorithmen aussieht, ist es vielleicht an der Zeit einzugreifen. Oder sich zumindest genau anzusehen, wie dieser neue Akteur sich im Kontext unserer Demokratie verhält.

Unsere Datenbasis bestand aus nicht-personalisierten Google-Suchergebnissen zum vollen Namen des jeweiligen Kandidaten, automatisiert gesammelt. In der Auswertung haben wir uns auf die ersten zehn Ergebnisse konzentriert, Werbung ausgenommen. Die erste Suchergebnisseite ist entscheidend, denn sieben von zehn Nutzern klicken nicht mehr weiter. Unsere crowdgesourcten freien Mitarbeiter haben jede Webseite anhand von zwei Skalen eingestuft: einmal nach dem Grad der positiven Grundeinstellung gegenüber einem Kandidaten und einmal nach dem der negativen. Anhand einer Teilmenge von Daten, die erneut sorgfältig ausgewertet wurde, haben wir die Methode überprüft und festgestellt, dass die von der crowd gelieferten Ergebnisse korrekt sind. Es muss noch erwähnt werden, dass die Daten in Washington D.C. gesammelt wurden. Da der geographische Standort nicht-personalisierte Suchergebnisse beeinflussen kann, möchen wir die Erhebung noch in anderen Teilen des Landes wiederholen, um etwaige Unterschiede festzustellen.

Ein weiteres Muster, das in unseren Daten erkennbar wird, sieht so aus, dass die Positivität der Haltung gegenüber den Kandidaten abnimmt, je weiter man in den Suchergebnissen nach unten scrollt. Im Durchschnitt erreichen Kandidaten bei den ersten Treffern einen Positivitäts-Score von 2,2, auf einer Skala zwischen +4 (am positivsten) und -4 (am negativsten). Das ist signifikant vor dem Hintergrund einer Studie, die 2007 im Journal of Computer Mediated Communication erschienen ist. Dieser Studie zufolge haben Nutzer zu Suchergebnissen, die bei Google weiter oben erscheinen, auch ein größeres Vertrauen.

Erste Suchergebnisseite nach Partei: Republikaner / Demokraten / Durchschnittswert links: Positivitätsskala, unten: Ranking der Suchergebnisse Grafik: Daniel Trielli, Sean Mussenden, Nicholas Diakopoulos

Bemerkenswerter Weise ist dieser Effekt nicht für alle Parteien gleich. Bei Kandidaten der Demokraten ist der Anfangswert nicht nur höher, er fällt auch langsamer ab. Und dann gibt es Ausreißer wie Chris Christie: Bei ihm steht ein negatives Suchergebnis an erster Stelle – also dort, wo 31% der Nutzer hinklicken. Wenn Wähler im Netz nach Informationen suchen und sich von den Ergebnissen beeinflussen lassen, kann ein schlechtes Ergebnis ganz oben in der Trefferliste ihre Wahrnehmung eines Kandidaten durchaus beeinflussen. Ob anhand der Suchergebnisse Veränderungen in den Beliebtheitswerten der jeweiligen Kandidaten vorhersagbar wären, ist allerdings noch unklar.

Erhellend ist es auch, die konkurrierenden Kandidaten der einzelnen Parteien untereinander zu vergleichen. Donald Trump hatte vier positive und drei negative Suchergebnisse auf der ersten Seite. Für Hillary Clinton gab es fünf positive und nur ein negatives. Ted Cruz hatte die allermeisten negativen Ergebnisse, und Bernie Sanders erwies sich als der große Gewinner: neun „sehr positive“ Ergebnisse, kein einziges negatives. Natürlich ist das kein statischer Befund – allerdings erhielten wir ziemlich ähnliche Ergebnisse, als wir das Experiment zwei Wochen später wiederholten.

Erste Suchergebnisseite: sehr negativ, negativ, neutral, positiv, sehr positiv Republikaner (Reihenfolge nach Umfrageergebnissen) Demokraten (Reihenfolge nach Umfrageergebnissen) Sternchenhinweis: basierend auf Durchschnittswerten von realclearpolitics.com am 1. Dezember 2015. Grafik: Daniel Trielli, Sean Mussenden, Nicholas Diakopoulos
Erste Suchergebnisseite: sehr negativ, negativ, neutral, positiv, sehr positiv
Republikaner (Reihenfolge nach Umfrageergebnissen)
Demokraten (Reihenfolge nach Umfrageergebnissen)
Sternchenhinweis: basierend auf Durchschnittswerten von realclearpolitics.com am 1. Dezember 2015.
Grafik: Daniel Trielli, Sean Mussenden, Nicholas Diakopoulos

Die positiv eingestellten Seiten sind hauptsächlich Kampagnen-Seiten, Webseiten von Kongressabgeordneten oder Social-Media-Profile. Die negativen Seiten sind in der Regel kritische Zeitungsartikel zu den Kandidaten. Warum also zeigt Google mehr negative Zeitungsartikel über republikanische Kandidaten an? Und warum tauchen die weniger schmeichelhaften Webseiten bei anderen Kandidaten nicht auf?

Eine große Rolle spielt zweifellos die Präsenz des jeweiligen Kandidaten in den sozialen Medien. Die Suchergebnisse zu Sanders beinhalten sein Facebook-Profil, seinen Twitter-Feed und sein YouTube-Konto. Hinzu kommen drei Links zu seinen eigenen Webseiten und zu einer neutralen Wikipedia-Seite über ihn. So bleibt gerade noch Platz für drei journalistische Artikel. Einer stammt aus der Huffington Post, einer aus der Washington Post und einer aus Time, alle mit wohlwollendem Tenor. Dagegen hat Cruz nur seinen Facebook-Account und seine beiden Webseiten aufzubieten. Den Rest der Ergebnisse machen sein (leicht positiv gefärbtes) Wikipedia-Profil und eine Flut überwiegend negativer Presseberichte aus.

Journalistische Artikel in den Top Ten der Suchergebnisse Republikaner (Reihenfolge nach Umfrageergebnissen) Demokraten (Reihenfolge nach Umfrageergebnissen) Sternchenhinweis: basierend auf Durchschnittswerten von realclearpolitics.com am 1. Dezember 2015. Grafik: Daniel Trielli, Sean Mussenden, Nicholas Diakopoulos
Journalistische Artikel in den Top Ten der Suchergebnisse
Republikaner (Reihenfolge nach Umfrageergebnissen)
Demokraten (Reihenfolge nach Umfrageergebnissen)
Sternchenhinweis: basierend auf Durchschnittswerten von realclearpolitics.com am 1. Dezember 2015.
Grafik: Daniel Trielli, Sean Mussenden, Nicholas Diakopoulos

Einige Wahlkampagnen nehmen Suchmaschinenoptimierung sehr ernst. Sanders' verlässt sich im digitalen Bereich auf das in Washington D.C. ansässige Unternehmen Revolution Messaging. Auf dessen Webseite wird erklärt, wie soziale Netzwerke Suchergebnisse beeinflussen. „Je höher Ihre Reichweite in den sozialen Medien, desto höher wird Ihr Artikel oder Ihre Seite in Suchergebnissen gerankt“, heißt es dort. „Politische Kampagnen und Interessengruppen brauchen deshalb in Sachen Suchmaschinenoptimierung sowohl eine defensive als auch eine offensive Strategie. Verfolgen Sie im Netz Themen, die für Sie wichtig sind? Und die Positionierung Ihrer Organisation in den Suchergebnislisten?“

All dies hat Folgen, weil Suchmaschinen eben durchaus Wahlen beeinflussen können. Robert Epstein und Ronald E. Robertson schreiben in einer im August 2015 in den Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie, ein nicht-neutrales Suchmaschinen-Ranking könne „die Präferenzen unentschiedener Wähler um mehr als 20% in die eine oder andere Richtung beeinflussen.“ Anhand einer Reihe von Untersuchungen wiesen die Autoren auch nach, dass die große Mehrheit der Wähler die Schieflage in den Ergebnissen nicht einmal bemerkt.

Zweifellos hat das Internet einen zunehmenden Einfluss auf die politische Debatte. Bei den letzten midterm elections zur Hälfte der Amtszeit des Präsidenten, haben sich über 50% aller Erwachsenen in den USA online informiert, sagt eine Studie des Pew Research Center. 24% der Erwachsenen nutzten das Internet als Hauptinfomationsquelle für Neuigkeiten aus dem Wahlkampf. Und das war 2010. Bei der Epstein-Studie nutzten bereits 86 Prozent der Teilnehmer eine Suchmaschine, um sich über politische Kandidaten zu informieren. Hauptsächlich war das Google: Das Unternehmen hat mit seiner Suchmaschine in den USA einen Marktanteil von 63,9%, mit großem Abstand gefolgt von Bing (20,8%) und Yahoo (12,5%), nach Angaben von comScore.

Und die Illusion von Neutralität ist weit verbreitet. Etwa zwei Drittel der Amerikaner, die Suchmaschinen benutzen, halten diese für komplett untendenziös, einer Pew-Research-Studie von 2012 zufolge: „73% der Nutzer von Suchmaschinen glauben, dass die meisten, wenn nicht alle Informationen, die sie über eine Suchmaschine finden, korrekt und verlässlich sind.“ Suchmaschinen genießen in dieser Hinsicht sogar höheres Vertrauen als eigenständige Medien.

Wir haben nachgewiesen, dass selbst nicht-personalisierte Google-Suchergebnisse strukturell Tendenzen aufweisen, die im Vorfeld der Wahlen des Jahres 2016 möglicherweise einen Einfluss darauf haben, wie politische Informationen wahrgenommen werden. Was folgt daraus? Die Öffentlichkeit, die sich über politische Sachverhalte informiert, muss mögliche Einseitigkeiten von Suchmaschinen besser auf dem Radar haben. Google selbst muss den Einfluss, den die Suchmaschine faktisch hat, allererst anerkennen und desweiteren dazu beitragen, dass die Ergebnisse zu bestimmten politischen Suchanfragen – zu Kandidaten, aber auch zu inhaltlichen Themen – richtig eingeordnet werden können. Das Unternehmen verdient Anerkennung dafür, dass es bereits regelmäßig einen Transparenzbericht veröffentlicht, der über Löschanträge und staatliche Zensur informiert. Was darin aber bislang fehlt, sind Informationen zu Googles eigenen Produkten. Auch dazu, nach welchen Kriterien politische Informationen in den Ergebnislisten gerankt werden, in den USA ebenso wie in anderen Teilen der Welt.

Aus dem Englischen von Ilja Braun.