In Berlin verleiten Google Maps und TomTom Autofahrer·innen zu Gesetzesverstößen

Navigationsdienste wie TomTom und Google Maps empfehlen Autofahrer·innen, Fahrradstraßen zu benutzen und damit gegen die Verkehrsregeln zu verstoßen. Beide Unternehmen kündigten an, ihre Datenbanken zu aktualisieren. Davon ist jedoch kaum eine endgültige Lösung des Problems zu erwarten.

Nicolas Kayser-Bril
Reporter

1997 führte das deutsche Parlament sogenannte „Fahrradstraßen“ ein. Von nun an konnten Städte ausgewählte Straßen für Fahrradfahrer·innen reservieren, auf denen das Autofahren ausschließlich Anlieger·innen erlaubt ist. Berlin eröffnete seine erste Fahrradstraße im Jahr 1998 (Alberichstraße in Marzahn). Heute gibt es viele weitere, wobei die genaue Anzahl unklar ist (mehr dazu unten).

Obwohl sie für Autofahrer·innen tabu sind, leiten Routenplaner wie Google Maps und TomTom ihre Nutzer·innen wie selbstverständlich durch Fahrradstraßen und übergehen damit, dass das eigentlich verboten ist. 

Als AlgorithmWatch die Dienste im Januar 2021 testete, empfahlen beide eine Route durch die Bergmannstraße in Kreuzberg, obwohl ein Teil davon seit 2008 als Fahrradstraße deklariert ist.

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Auch die Fahrradstraßen in der Körtestraße und der Grimmstraße, die seit 2020 für den Autoverkehr gesperrt sind, wurden teilweise oder ganz außer acht gelassen.

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Ein drittes Beispiel findet sich in Charlottenburg, wo nur TomTom seine Nutzer·innen zur Missachtung der Verkehrsregeln animiert hat. Dort ist die Prinzregentenstraße seit 2010 eine Fahrradstraße.

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Nachdem Google und TomTom auf das Problem aufmerksam gemacht wurden, wiesen beide Firmen auf Fehler in ihren Datenbanken hin. Ein Sprecher von TomTom teilte AlgorithmWatch mit, dass mehrere Berliner Straßen, die in ihrer Datenbank falsch gekennzeichnet waren, inzwischen korrigiert wurden. Die Inbetriebnahme der neuen Version könne jedoch bis zu sechs Monate dauern.

Anbieter·innen von Routenplanern haben es vermutlich nicht leicht mit der Aktualisierung der Berliner Straßen in ihrer Datenbank. Tatsächlich scheint es kein zentrales Verzeichnis von Fahrradstraßen zu geben. Auf Anfrage von AlgorithmWatch verwies die Stadt auf die Karte von InfraVelo, einem stadteigenen Privatunternehmen. Allerdings fehlt mindestens eine Fahrradstraße in dieser Karte (Alberichstraße). Berlins offizieller Geodatenkatalog bietet eine Karte der Fahrradstraßen, die zuletzt 2011 aktualisiert wurde. Eine Sprecherin der Stadt teilte AlgorithmWatch mit, dass die Zuständigkeit für die Fahrradstraßen bei den Stadtbezirken liegt und dass sie über aktuelle Karten verfügen.

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Freifahrtschein statt Strafzettel?

Obwohl Fahrradstraßen nach wie vor nur einen winzigen Bruchteil des gesamten Berliner Straßennetzes ausmachen, bekräftigte das Mobilitätsgesetz der Stadt 2018, dass sie notwendig seien - und dass man Autofahrer·innen von ihrer Nutzung abhalten müsse. Fahrradstraßen könnten einen enormen Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens leisten. Eine Studie aus London hat gezeigt, dass eine Sperrung für den Autoverkehr zu einer Verdoppelung der Zahl der Radfahrer·innen auf einer bestimmten Straße führen kann.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Routenplaner Autofahrer·innen dazu verleiten, die Verkehrsregeln in Hinblick auf Fahrradstraßen zu missachten. Eine Google-Vertreterin sagte diesbezüglich gegenüber AlgorithmWatch, dass Nutzer·innen für ihr Verhalten selbst verantwortlich seien. Doch wie man weiß, wenn man schon einmal seinem Navigationssystem auf den falschen Weg gefolgt ist, neigen Menschen dazu, Computern mehr zu vertrauen als sich selbst (ein Effekt, der als Automatisierungsbias bekannt ist). Darüber hinaus können Google Maps oder TomTom Einfluss auf die Routenführung von Lieferant·innen haben. Halten sich die Zusteller·innen nicht an die vorgegebene Route, kann dies zu Sanktionen für sie führen.

Dirk von Schneidemesser von Changing Cities, einer Organisation, die sich für faire Straßen einsetzt, spricht in diesem Zusammenhang von Doppelmoral. „Wenn ich eine App entwickeln würde, die diejenigen, die reich werden wollen, dazu anleitet, eine Bank auszurauben, weil das der schnellste Weg zum Reichtum ist, würde ich wahrscheinlich verhaftet werden - und das zu Recht." sagte er im Gespräch mit AlgorithmWatch. Die Stadt sollte sicherstellen, dass Navigationsdienste ihren Nutzer·innen nur legale Routen vorschlagen, fordert von Schneidemesser.

In einer indirekten Antwort erklärte eine Sprecherin der Stadt Berlin gegenüber AlgorithmWatch, dass Routenplaner keiner staatlichen Kontrolle unterliegen. Mit anderen Worten: Die Stadt kümmert sich wenig darum, dass diese Dienste ihre Benutzer·innen dazu ermutigen, das Gesetz zu brechen.

Die Missachtung von Fahrradstraßen durch Google Maps und TomTom ist Teil eines größeren Versagens in der Rechtsdurchsetzung. Eine Studie aus dem Jahr 2017 in der Prinzregentenstraße ergab, dass 97 von 100 Autofahrer·innen die Fahrradstraße unerlaubt nutzen. AlgorithmWatch hat die Berliner Polizei um Statistiken zu diesem Fall gebeten. Die Antwort lautete, dass keine Daten zu diesem Thema gesammelt werden, was es unmöglich macht, herauszufinden, ob die Polizei jemals einen Strafzettel für diese Verstöße ausgestellt hat.

Bearbeitung am 11. März: Google hat seine Datenbank aktualisiert und empfiehlt Autofahrer·innen nicht mehr, die in diesem Artikel genannten Fahrradstraßen zu benutzen. Es verleitet Autofahrer·innen aber weiterhin dazu, andere Fahrradstraßen in Deutschland zu benutzen.

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/ Unding - Automatische Entscheidungen anfechten

Solche Undinge, wie die Missachtung von Fahrradstraßen, sind leider kein Einzelfall. Viel zu häufig werden Betroffene mit den Auswirkungen von automatischen Entscheidungen alleine gelassen. Das soll sich jetzt ändern: Für Grauzonen, wo sich Behörden nicht zuständig fühlen oder Firmen keine Anlaufstellen bieten, hat AlgorithmWatch nun unding.de ins Leben gerufen. Die Plattform sammelt solche Fälle und lenkt die Anliegen vieler Menschen direkt an die verantwortlichen Stellen. 

Haben Sie so ein Unding schonmal erlebt und wussten nicht, wo Sie es melden können? Haben Fotoautomaten in Behörden ihr Gesicht nicht erfasst, weil die Ihre Hautfarbe nicht richtig erkennen? Oder wird Ihr Name in Suchmaschinen automatisch mit fragwürdigen Begriffen ergänzt? Nutzen Sie Unding als Botendienst! Schildern Sie uns Ihre Erfahrung und wir leiten Ihre Anfrage unkompliziert an die zuständige Stelle weiter. Das Tool unterstützt auch bei weiteren Schritten im Dialog mit Firmen oder Behörden: hakt regelmäßig nach, benachrichtigt bei Neuigkeiten und unterstützt, angemessene Antworten auf Rückmeldungen zu finden. 

Bleiben Sie nicht allein mit ihrem Ärger über automatisierte Systeme, teilen Sie Ihren Fall bei unding.de und fordern Sie gemeinsam mit anderen Verantwortung ein. 

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