Die KI-Mobilitätsrevolution auf dem Land: Optimismus trifft auf Ernüchterung
Frieder Schmelzle vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung gibt einen Überblick über die aktuellen Mobilitäts- und Digitalstrategien der deutschen Landesregierungen zum Thema ÖPNV-Anbindung in ländlichen Regionen. Große Erwartungen liegen auf der Automatisierung des Nahverkehrs, wodurch jedoch grundsätzliche Fragen zu nachhaltiger Mobilität auf dem Land in den Hintergrund gedrängt werden.
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen erwartet, dass ab 2025 erste autonome ÖPNV-Angebote eine „Roboshuttle-Revolution“ einleiten würden. Auch die Politik spricht sich immer häufiger dafür aus, Mobilitätsangebote auf dem Land zunehmend durch KI zu automatisieren. Dadurch ist jedoch keineswegs sichergestellt, dass der besonders klimaschädliche Individualverkehr mit dem eigenen Auto abnehmen wird. Analysen der Mobilitäts- und Digitalstrategien deutscher Landesregierungen zeigen, dass politische Ziele im Hinblick auf einen nachhaltigen Nahverkehr schwammig bis nicht vorhanden sind.
KI-Systeme für den autonomen Nahverkehr gelten als Wirtschaftsmotor. In der Hessischen Mobilitätsstrategie prognostiziert ein Führungsmitglied eines Mobilitätsunternehmens, dass die Kosten des ÖPNV dank KI abnehmen würden. Das Niedersächsische Wirtschaftsministerium gibt sogar an, mit der Automobilindustrie in puncto Digitalisierung bereits „konkrete Absprachen“ getroffen zu haben. Zu neuen Geschäftsmodellen rund um den ÖPNV gehört, die Landbevölkerung besser anzubinden. Durch wegfallende Kosten für Fahrer*innen sollen mehr Fahrten realisiert werden können, was Menschen ohne Auto mehr Flexibilität verspreche. Ob die neuen Angebote erschwinglich sein werden, hängt maßgeblich von den Nettoersparnissen durch den fahrerlosen Betrieb ab. Wie hoch diese Ersparnisse sein können, lässt sich durch die untersuchten aktuellen Projekte, bei denen autonome Kleinbusse auf dem Land getestet werden, noch nicht abschätzen. Vielmehr werde „eher versucht, es überhaupt irgendwie zum Laufen zu kriegen […] und man ist schon froh, wenn man überhaupt eine Lösung findet, die technisch funktioniert“, so ein Interviewpartner, der KI-Anwendungen in der Sensordatenverarbeitung erforscht und anwendet.
Die SustAIn-Analysen zeigen: Ökologische Fragen kommen sowohl in der Politik als auch in der Entwicklung deutlich zu kurz. Ein Testprojektmitarbeiter mit langjähriger Verkehrsbetriebserfahrung hält fest: „Ich glaube, wir werden zumindest zu meinen Lebzeiten nicht einen kompletten automatisierten ÖPNV erleben. Vor allem nicht auf dem Land.“ Bislang pendeln lediglich vereinzelte automatisierte Kleinbusse zwischen touristischen Attraktionen, Universitäten und Kurkliniken hin und her. Die Geschwindigkeit liegt in der Regel bei 15 bis 18 km/h. Sicherheitshalber ist eine Begleitperson an Bord.
Aktuell deutet wenig darauf hin, dass autonome Kleinbusse die tiefgreifenden strukturellen Probleme der Mobilität im ländlichen Raum nachhaltig lösen können. Die Erwartungen in der Politik sind hoch, fundierte Belege fehlen jedoch. Bahnen oder auch große Busse zu nutzen bleibt nahezu uneingeschränkt klimafreundlicher als die Nutzung kleinerer Fahrzeuge, auch wenn sie elektrisch angetrieben werden. Statt uns mit der Frage zu beschäftigen, wie wir Menschen ersetzen können, die Fahrzeuge steuern, sollten in Politik, Forschung und Entwicklung Antworten auf die grundsätzliche Frage gesucht werden, wie die Transformation zu einem nachhaltigen Verkehr gelingen kann.
Frieder Schmelzle ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung. Er erforscht soziale und technische Bedingungen für eine nachhaltige Transformation sowie deren Governance, insbesondere in Bereichen digitaler Technologien und des Energiesystems.
Die Fallstudie wurde in der zweiten Ausgabe des SustAIn-Magazins veröffentlicht. Für mehr Artikel und Fakten zum Thema KI und Nachhaltigkeit hier das ganze Magazin als PDF runterladen.
Illustration: Kevin Lucbert für das SustAIn Magazin #2, CC BY 3.0 DE