Wird der Hahn abgedreht, wenn Google kommt?
Interview mit Dr. Sebastián Lehuedé von dem Centre of Governance and Human Rights an der Universität Cambridge über Proteste gegen die schädlichen Umweltauswirkungen von Big-Tech-Rechenzentren.
Künstliche Intelligenz benötigt zur Verarbeitung von Daten eine Infrastruktur. Diese Funktion erfüllen Rechenzentren. Der Forscher Sebastián Lehuedé und ein Netzwerk aus weiteren Wissenschaftler*innen haben Vorträge und Gesprächsrunden veranstaltet, bei denen Aktivist*innen berichteten, wie sie sich in ihren Heimatländern gegen Big-Tech-Rechenzentren wehren. Sie warnen vor den Folgen, die deren Betrieb nach sich zieht: Umweltschäden, Wasserknappheit und eine unsichere Energieversorgung
Was sind die Gründe der Aktivist*innen, gegen Rechenzentren zu kämpfen?
Die lokalen Gruppen gehören zu keiner übergeordneten Bewegung. Sie alle wollen nicht hinnehmen, dass die Rechenzentren ihrer Umwelt schaden, vor allem durch deren Energie- und Wasserverbrauch. Die Datenverarbeitung und -verwaltung schluckt eine Unmenge an Energie. Die Rechenzentren in Irland gehören weltweit zu den tragenden Säulen dieser Art von Infrastruktur. Von ihnen wird erwartet, dass ihr Anteil am Strombedarf des gesamten Landes bis 2029 ganze 27 Prozent betragen wird. Rechenzentren erhöhen einfach die Belastung des gesamten Stromnetzes. Ihr Anteil am globalen Stromverbrauch liegt bei bis zu zwei Prozent. Da Rechenzentren immer effizienter werden, könnte sich diese Entwicklung zum Besseren wenden. Gleichzeitig werden aber auch immer mehr von ihnen gebaut.
Ein weiteres Problem ist ihr Wasserverbrauch, der exorbitant ist, weil so viel Wasser zum Abkühlen der Server notwendig ist. In Europa werden Rechenzentren in kühleren Gebieten wie in Skandinavien errichtet, weil die klimatischen Bedingungen dort den Betrieb einfacher machen. 2019 hat Google aber ein Rechenzentrum mitten in Chile bauen lassen, wo ein zunehmend trockenes, mediterranes Klima herrscht. Der Wasserbedarf des dort eingesetzten Kühlsystems lag den ersten Plänen zufolge bei 169 Litern pro Sekunde – und das in einer Region, in der die Menschen seit Jahren mit Dürreperioden zu kämpfen haben. Ein durchschnittliches Rechenzentrum benötigt so viel Wasser wie drei durchschnittlich große Krankenhäuser. Weitere Probleme wie die Luftverschmutzung kommen dazu. In den Niederlanden
befürchten Aktivist*innen, dass der geplante Bau eines Microsoft-Rechenzentrums sich negativ auf die Landwirtschaft auswirken und zudem die Landschaft verschandeln könnte.
Wenig Emissionen, dafür Dürre –
Wie nachhaltig ist Googles Rechenzentrum wirklich?
Google hat in unmittelbarer Nähe der chilenischen Hauptstadt Santiago ein Rechenzentrum in Quilicura errichtet, das es als eines der effizientesten und umweltfreundlichsten in Lateinamerika anpreist. Tatsächlich zeigt ein Vergleich von Google-Rechenzentren weltweit, dass es vergleichsweise wenige Emissionen verursacht: Es wird zu etwa 69 Prozent mit kohlendioxidfreier Energie versorgt und stößt „nur“ 190 Gramm CO2- Äquivalente pro Kilowattstunde aus. Google empfiehlt Kund*innen, die eine Anwendung über die Google-Cloud hosten wollen, sich für Rechenzentren mit einem geringen CO2- Ausstoß zu entscheiden. Das Rechenzentrum in Santiago scheint also eine gute Wahl zu sein. So einfach ist es aber nicht. Die von Google angegebenen Zahlen wurden nicht von unabhängigen Instanzen überprüft. Außerhalb von Google kann niemand sagen, ob sie stimmen. Wie jedes andere Rechenzentrum benötigt auch der Standort in Chile Mineralien, die umweltschädlich abgebaut werden, und Hardware, die irgendwann zu Elektroschrott wird, der entsorgt werden muss. Dazu kommt, dass insbesondere der Wasserverbrauch des Rechenzentrums in Quilicura problematisch ist, da die Menschen in der Region unter anhaltenden Dürren leiden. Zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Rechenzentren genügt also nicht nur ein Blick auf die Emissionswerte. Das chilenische Beispiel beweist erneut, wie Big-Tech-Unternehmen durch das Verbreiten selektiver Informationen Greenwashing betreiben: Sie gaukeln vor, dass bestimmte Angebote nachhaltig sind, während sich dahinter bestehende Umweltkrisen verbergen, die sie verschlimmern.
Die Aktivist*innen versuchen also, negative Folgen der Rechenzentren in ihrer Heimat zu verhindern?
Ja, und ihre Sorgen sind nicht unbegründet. Patrick Brodie vom University College in Dublin glaubt, dass neue Kollaborationen zwischen Big-Tech-Unternehmen und Stromversorgern in Irland dazu führen könnten, dass erneuerbare Energien in erster Linie Rechenzentren zur Verfügung gestellt werden. Der Bevölkerung könnte also der Zugang zu nachhaltigen Energiequellen vorenthalten werden, damit die Umweltbilanz der Rechenzentren besser aussieht. In solchen Konstellationen wird die Wende zur Nachhaltigkeit zu einem sozialen Problem. In Santiago de Chile musste die Bevölkerung sich fragen, ob mit dem Betrieb des dortigen Google-Rechenzentrums noch genug Wasser für sie übrigbleiben würde. Aktivist*innen berichteten mir, dass bei der Bauplanung keine verlässlichen Studien darüber durchgeführt wurden, welchen Einfluss das Rechenzentrum auf die Wasserversorgung in der Region nehmen wird.
Wer ist dafür verantwortlich, die Bevölkerung zu schützen, die Konzerne, regionale Behörden oder nationale Aufsichtsstellen?
Natürlich vor allem die Konzerne, weil sie die Rechenzentren bauen, um damit Geschäfte zu machen. Aber wir brauchen Aufsichtsstellen, die sicherstellen, dass die Big-Tech-Unternehmen die Vorgaben einhalten. Alphabet, Meta oder Microsoft legen zwar Berichte über ihren Strom- und Wasserverbrauch vor, deren Inhalte werden aber meistens nicht überprüft. Deshalb sollten Dritte überwachen, inwiefern der Betrieb von Rechenzentren Mensch und Umwelt schadet. Am besten wäre es natürlich, globale Aufsichtsbehörden zu haben. Internationale Organisationen wie die UN-Einrichtungen tendieren nur leider dazu, Technologien wie Künstlicher Intelligenz allzu unkritisch gegenüberzustehen. Die UNO betrachtet beispielsweise KI als potenzielle Lösung, um die Klimakrise in den Griff zu bekommen. Nur blendet sie dabei aus, dass auch der Einsatz von KI in einem beträchtlichen Ausmaß CO2-Emissionen verursacht, die ja eine wesentliche Ursache der Klimakrise sind.
Wie optimistisch sind die Aktivist*innen, mit denen sie im Austausch stehen? Welche Ziele halten sie für erreichbar und wo sehen sie bei den lokalen Verhandlungen mit den Big-Tech-Unternehmen Grenzen?
Nach über einem Jahr hartnäckigen Engagements ist es der Bevölkerung in Cerrillos gelungen, Google an den Verhandlungstisch zu bewegen. Google betreibt in dieser chilenischen Gemeinde ein Rechenzentrum und entschied sich nach den Verhandlungen dazu, auf eine weniger wasserintensive Technologie umzusteigen. Das war ein großer Erfolg. Aber derweil wird im Norden Chiles Lithium abgebaut, was massive Schäden verursacht. Wir müssen uns einen Überblick über den gesamten KI-Lebenszyklus verschaffen, um die Probleme zu identifizieren, die darin auftreten. So eine Bestandsaufnahme
ist allerdings schwierig, weil die Unternehmen keinen Einblick in den Entwicklungs- und Anwendungsprozess zulassen. Sie wollen uns noch nicht einmal sagen, woher die Mineralien stammen, die sie für ihre Technologie brauchen – weil sie es wahrscheinlich gar nicht wissen. Und unter welchen Bedingungen arbeiten die Menschen, die ihre Geräte zusammenbauen? Und wie funktioniert das Training ihrer Algorithmen? Weder Aktivist*innen noch Wissenschaftler*innen können sagen, wie sehr die Produktion digitaler Technologien der Umwelt schadet. Deshalb sind die Aktivist*innen, die ich kenne, im Moment eher pessimistisch.
Die EU versucht, mit dem AI Act ein Gesetz zu schaffen, mit dem Hochrisiko-KI-Systeme reguliert werden sollen. Umweltschäden tauchen aber darin nicht wirklich als Risiko auf, also auch nicht die durch den Energieverbrauch von Rechenzentren verursachten Emissionen. Wie kann es sein, dass die EU einerseits behauptet, europäische Werte als Maßgabe für den Einsatz von KI etablieren zu wollen, andererseits aber die von KI-Systemen verursachten Umweltschäden in ihrem Regelwerk komplett ausblendet?
Europas doppelzüngige Heuchelei hat doch eine lange Tradition. Es ist berüchtigt dafür, daheim demokratische Werte zu verfechten, es aber mit Menschenrechten in anderen Teilen der Welt nicht so genau zu nehmen. Das Problem fängt schon bei der Vorstellung an, dass es eine „grüne Technologie“ gäbe. Wer legt denn fest, was das sein soll? Elektroautos sind das Flaggschiff grüner Technologie, aber die können ohne Lithium nicht gebaut werden. In Chile protestieren indigene Gemeinschaften gegen den Lithiumabbau, weil sie die sozialen Schäden und die Umweltschäden hautnah zu spüren bekommen. Solange nicht unmittelbar Europas Umwelt betroffen ist, wundert es mich nicht, dass die europäische Gesetzgebung sich nicht lange mit solchen Problemen aufhält. Der europäische Lebensstil wäre ohne die globale Ausbeutung von Mineralien und anderer Ressourcen gar nicht denkbar. Das gilt auch für digitale Technologien.
Was denken die Aktivist*innen, mit denen Sie gesprochen haben: Ist es möglich, dass die Bevölkerung vor Ort die von den Konzernen beanspruchten Ressourcen wieder zurückerobern und zu ihrem eigenen Wohl einsetzen könnte?
Nein, nicht wirklich. Die Aktivist*innen in Cerrillos haben Google bisher nicht als Big-Tech-Unternehmen behandelt. Teilweise war das eine strategische Entscheidung: Eine gerechte Wasserversorgung einzufordern schien ihnen der effektivste Verhandlungsansatz zu sein. Sie konnten die ganzen Big-Tech-Probleme beiseite stellen, indem sie Google nur als Unternehmen mit einem enormen Wasserbedarf betrachteten. Ihnen war bisher auch gar nicht bewusst gewesen, wie problematisch die Situation im globalen Kontext ist. Das war einer der Gründe, warum wir die Data-Territories-Konferenz veranstaltet haben. In Santiago de Chile stand die dortige Bevölkerung dem Bau des Google-Rechenzentrums erst positiv gegenüber. Dank der erfolgreichen PR-Arbeit solcher Konzerne denken die Menschen in so einem Fall: „Großartig, das wird uns Jobs und Innovationen bringen!“ Aber ich schätze, dass die Aktivist*innen für digitale Rechte durch ihre Erfahrungen lernen werden, mit wem sie es wirklich zu tun haben. Die Aktionen und die Aufklärungsarbeit von Umweltaktivist*innen stimmen mich daher optimistisch, dass die Menschen mit der Zeit verstehen werden, welche gravierenden Probleme mit ihren neuen Tech-Nachbarn Einzug halten werden. Wenn das geschehen ist, können wir über alternative Formen der Selbstorganisation und über alternative Technologien reden. Noch sind wir nicht soweit, aber ich denke, dass es irgendwann passieren könnte.
Dr. Sebastián Lehuedé ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Centre of Governance and Human Rights an der Universität Cambridge. Er erforscht die Regulierung digitaler Technologien aus der Perspektive einer globalen sozialen Gerechtigkeit. Sein Forschungsansatz wurde von der lateinamerikanischen Denkschule beeinflusst, die die Entkolonialisierung von Wissensbeständen anstrebt. Bei seinem aktuellen Projekt untersucht Sebastián die Schnittmenge zwischen digitalen und ökologischen Rechten in Lateinamerika. Er veröffentlichte seine Forschungsergebnisse in mehreren Peer-Review- Zeitschriften, unter anderem in Information, Communication & Society. Außerdem schreibt er für Open Democracy und Progressive International.
Das Interview wurde in der zweiten Ausgabe des SustAIn-Magazins veröffentlicht. Für mehr Artikel und Fakten zum Thema KI und Nachhaltigkeit hier das ganze Magazin als PDF runterladen.
Illustration: Kevin Lucbert für das SustAIn Magazin #2, CC BY 3.0 DE