DSA Day und Plattformrisiken

Social-Media-Konto gesperrt oder Forschungsdaten gesucht? – Ab jetzt gibt es (theoretisch) Hilfe

Das EU-Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) soll Risiken durch Online-Plattformen und Suchmaschinen regulieren. Es ist seit 2023 in Kraft, aber erst ab dem 17. Februar 2024, dem „DSA-Day“, gelten einige der wichtigsten Bestimmungen.

Oliver Marsh
Leiter des Projekts „Algorithmen auf systemische Risiken prüfen"

Die neuen Bestimmungen sollen die Grundrechte der EU-Bevölkerung stärken und der Forschung Zugang zu wichtigen Daten verschaffen. Außerdem ist vorgesehen, dass in jedem EU-Mitgliedstaat eine dafür bestimmte Regulierungsbehörde die praktische Umsetzung dieser Ziele unterstützt.

Es wird sich zeigen, ob die neuen Verfahren funktionieren. Doch wie es aussieht, wird sich das Gesetz nach dem DSA-Day erst noch bewähren müssen.

Eine Support-Behörde für Plattform-Nutzer*innen und Forschende

Eine der wichtigsten Änderungen, die ab dem 17. Februar gelten, ist die Einrichtung einer Vermittlungsinstanz namens „Digital Services Coordinator“ (DSC) in jedem EU-Mitgliedstaat. Einige Länder richten dazu eine ganz neue Stelle ein, andere statten bestehende Stellen mit neuen Befugnissen aus. Deutschland ernennt zum Beispiel voraussichtlich im April oder Mai rechtskräftig die Bundesnetzagentur (BNetzA) zur Koordinationsstelle für digitale Dienste. Der DSA räumt solchen DSC-Behörden neue rechtliche Möglichkeiten ein.

Plattform-Nutzer*innen können sich beispielsweise bei diesen Behörden beschweren, wenn eine Plattform ihre Inhalte unbegründet löscht, ihre Sichtbarkeit einschränkt oder nicht angemessen reagiert, nachdem sie unangemessene Inhalte gemeldet haben. Der DSA schreibt den Plattformen vor, wirksame Systeme zur Bearbeitung von Beschwerden bereitzustellen. Wenn diese Beschwerdesysteme nicht zufriedenstellend funktionieren, können die DSC außergerichtliche Schlichtungsstellen ernennen, die Lösungen für offene Beschwerdeverfahren finden sollen. DSC werden außerdem Instanzen berufen, die den Plattformen Inhalte melden. Die Plattformen stufen deren Berichte als vertrauenswürdig ein, weshalb sie vorrangig darauf reagieren.

Die DSC sind von nun an auch eine Anlaufstelle für Forschende, die Zivilgesellschaft und Journalist*innen. Solche externen Kontrollinstanzen können bei den DSC einen Zugang zu Plattformdaten beantragen.

Was wir jetzt tun

Seit dem DSA Day können wir die neuen Rechte in Anspruch nehmen, die wir durch den DSA haben. Wenn wir es jetzt tun, können wir herausfinden, welche offenen Fragen und ungelösten Probleme im Verfahren noch zu klären sind. AlgorithmWatch sendet deshalb über die BNetzA eine Datenzugriff-Anfrage an Microsoft. Wir setzen auf diesem Weg unsere Studie fort, in der wir untersucht haben wie Bing Falschinformationen über Wahlen verbreitet. Es eilt, das Gesetz sofort auf die Probe zu stellen, da in wenigen Monaten die EU-Parlamentswahlen und einige Landtagswahlen anstehen.

Wir unterstützen außerdem Forscher*innen und Journalist*innen beim Erstellen und Einreichen ihrer eigenen Datenzugang-Anträge. Wenn Sie so einen Antrag stellen möchten, nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.

Wir haben einen Fragebogen über systemische Risiken eingerichtet. Dort können Sie Risikofälle melden, die gegen den DSA verstoßen könnten, seien es Deep Fakes bei den slowakischen Wahlen oder Amazon-Buchempfehlungen, die Verschwörungstheorien von Covid-Impfgegner*innen verbreiten. Sie finden den Fragebogen unter dem folgenden Link: Online Systemic Risks under the DSA: Crowdsourced Evidence

Und wir tauschen Erfahrungen über die Umsetzung der neuen DSA-Bestimmungen aus. Wir teilen diese Erfahrungen der EU-Kommission und den DSC-Behörden mit, damit die DSA-Bestimmungen vollständig, effizient und effektiv praktisch angewendet werden können.

Anfrage auf Datenzugriff

In den letzten Jahren haben Plattformen sich immer stärker dagegen gewehrt, der Forschung Zugang zu ihren Daten einzuräumen. Meta hat zum Beispiel stillschweigend Crowdtangle abgeschafft. Mit diesem Tool konnten Forscher*innen sich einen Einblick in die Funktionsweise von Facebook und Instagram verschaffen. Nach der Übernahme von Twitter 2023 (später in X umbenannt) erhob Elon Musk für den vorher kostenlosen Datenzugang eine monatliche Gebühr von 42.000 Dollar. Diesen Preis fand selbst Microsoft übertrieben. Wenn kein Zugang zu Plattformdaten besteht, können Plattformen auch nicht wissenschaftlich erforscht werden.

Der DSA verpflichtet Plattformen dazu, Schnittstellen bereitzustellen, die einen Zugriff auf öffentlich zugängliche Daten ermöglichen. Forschende sollen Zugang zu Echtzeitdaten erhalten, wenn es technisch möglich und ihre Forschung von öffentlichem Interesse ist. Sie müssen zudem sicherstellen, dass sie die Plattformdaten sicher speichern können. „Öffentlich zugängliche Daten“ sind keine Daten, die ohnehin ohne Weiteres verfügbar wären. Es müssen eigens Konten eingerichtet werden, um bestimmte Daten zu sichten. Ohne geeignete Werkzeuge ist eine Datenanalyse praktisch unmöglich. Die neuen Schnittstellen, die die Plattformen bereits implementieren, ermöglichen Forschenden, nach bestimmten Themen zu suchen, Inhalte nach der Aktivität der Nutzer*innen zu ordnen oder zu sehen, welche Konten bestimmte Narrative verbreiten. Nach ihrer vollständigen Implementierung können die neuen Online-Schnittstellen dazu genutzt werden, um Wahlen herum die Verbreitung von Desinformationen aufzudecken und zu bekämpfen.

Ab dem 17. Februar sind die DSC dazu berechtigt, von Plattformen Daten anzufordern, um „systemische Risiken“ zu überwachen, zum Beispiel Risiken für Wahlen. Forschende stellen eine Anfrage bei einem DSC, wenn sie solche Daten zu internen Inhalten und Metriken benötigen, die zuvor nur für die Plattformen sichtbar waren.

Allerdings müssen die DSC prüfen, ob die Forschungsanträge angemessen sind vor allem, ob die angeforderten Daten notwendig sind, um im DSA definierte systemische Risiken ausfindig zu machen. Plattformen können Anträge auf einen Datenzugang anfechten, indem sie Sicherheitsbedenken oder Geschäftsgeheimnisse geltend machen, was zu Verhandlungen über alternative Optionen mit den DSC führen würde.

Klingt gut – oder nicht?

Gesetze müssen umgesetzt werden, und dabei ist mit Anlaufschwierigkeiten zu rechnen, besonders in diesem Fall. Viele wichtige DSA-Bestimmungen sind noch nicht ausgereift. In absehbarer Zeit werden die praktischen Probleme wohl kaum vollständig zu beheben sein.

Was müssen Forschende beispielsweise tun, damit ihre Anträge auf einen Datenzugang von DSC-Stellen genehmigt werden? Am 17. Februar werden viele DSC noch nicht bereit für ihre Aufgabe sein, weil sie ihre Kapazitäten zu langsam aufbauen. Das gilt sowohl für die Bundesnetzagentur als auch für den irischen DSC, obwohl Irland bei der Abfrage von Daten der größten Plattformen Vorreiter ist.

Aber die Zeit drängt. Wir haben es gerade mit einer dauerhaften russischen Aggression gegen den Westen zu tun. Russische Desinformationskampagnen richten sich vor allem gegen die Ukraine-Politik, aber auch gegen die europäische Politik im Allgemeinen und gegen einen zivilgesellschaftlichen Diskurs. Der Gaza-Konflikt wird auch online ausgetragen und zeigt sich in Gestalt von Hassreden, Desinformation und willkürlicher Zensur. Und dann stehen 2024 äußerst wichtige Wahlen an – etwa die Wahlen zum EU-Parlament im Juni. Die jüngsten Erfahrungen haben uns die Risiken vor Augen geführt, die sich aus dem Einsatz von generativer KI ergeben. Aus diesem Grund muss der DSA so bald wie möglich effektiv und praxistauglich werden.

Lesen Sie mehr zu unserer Policy & Advocacy Arbeit zum DSA.